Kant, Critique of Judgment (original German)
Deduktion der reinen ästhetischen Urteile
§30. Die Deduktion der ästhetischen Urteile über die Gegenstände der Natur darf nicht auf das, was wir in dieser erhaben nennen, sondern nur auf das Schöne, gerichtet werden
Der Anspruch eines ästhetischen Urteils auf allgemeine Gültigkeit für jedes Subjekt bedarf, als ein Urteil, welches sich auf irgendein Prinzip a priori fußen muß, einer Deduktion (d. i. Legitimation seiner Anmaßung) ; welche über die Exposition desselben noch hinzukommen muß, wenn es nämlich ein Wohlgefallen oder Mißfallen an der Form des Objekts betrifft. Dergleichen sind die Geschmacksurteile über das Schöne der Natur. Denn die Zweckmäßigkeit hat alsdann doch im Objekte und seiner Gestalt ihren Grund, wenn sie gleich nicht die Beziehung desselben auf andere Gegenstände nach Begriffen (zum Erkenntnisurteile) anzeigt ; sondern bloß die Auffassung dieser Form, sofern sie dem Vermögen sowohl der Begriffe, als dem der Darstellung derselben (welches mit dem der Auffassung eines und dasselbe ist) im Gemüt sich gemäß zeigt, überhaupt betrifft. Man kann daher auch in Ansehung des Schönen der Natur mancherlei Fragen aufwerfen, welche die Ursache dieser Zweckmäßigkeit ihrer Formen betreffen : z. B. wie man erklären wolle, warum die Natur so verschwenderisch allerwärts Schönheit verbreitet habe, selbst im Grunde des Ozeans, wo nur selten das menschliche Auge (für welches jene doch allein zweckmäßig ist) hingelangt ? u. dgl. m.
Allein das Erhabene der Natur - wenn wir darüber ein reines ästhetisches Urteil fällen, welches nicht mit Begriffen von Vollkommenheit, als objektiver Zweckmäßigkeit, vermengt ist ; in welchem Falle es ein teleologisches Urteil sein würde - kann ganz als formlos oder ungestalt, dennoch aber als Gegenstand eines reinen Wohlgefallens betrachtet werden, und subjektive Zweckmäßigkeit der gegebenen Vorstellung zeigen ; und da fragt es sich nun : ob zu dem ästhetischen Urteile dieser Art auch, außer der Exposition dessen, was in ihm gedacht wird, noch eine Deduktion seines Anspruchs auf irgendein (subjektives) Prinzip a priori verlangt werden könne.
Hierauf dient zur Antwort : daß das Erhabene der Natur nur uneigentlich so genannt werde, und eigentlich bloß der Denkungsart, oder vielmehr der Grundlage zu derselben in der menschlichen Natur, beigelegt werden müsse. Dieser sich bewußt zu werden, gibt die Auffassung eines sonst formlosen und unzweckmäßigen Gegenstandes bloß die Veranlassung ; welcher auf solche Weise subjektiv-zweckmäßig gebraucht, aber nicht als ein solcher für sich und seiner Form wegen beurteilt wird (gleichsam species finalis accepta, non data). Daher war unsere Exposition der Urteile über das Erhabene der Natur zugleich ihre Deduktion. Denn, wenn wir die Reflexion der Urteilskraft in denselben zerlegten, so fanden wir in ihnen ein zweckmäßiges Verhältnis der Erkenntnisvermögen, welches dem Vermögen der Zwecke (dem Willen) a priori zum Grunde gelegt werden muß, und daher selbst a priori zweckmäßig ist : welches denn sofort die Deduktion, d. i. die Rechtfertigung des Anspruchs eines dergleichen Urteils auf allgemein-notwendige Gültigkeit, enthält.
Wir werden also nur die Deduktion der Geschmacksurteile, d. i. der Urteile über die Schönheit der Naturdinge, zu suchen haben und so der Aufgabe für die gesamte ästhetische Urteilskraft im Ganzen ein Genüge tun.
§31. Von der Methode der Deduktion der Geschmacksurteile
Die Obliegenheit einer Deduktion, d. i. der Gewährleistung der Rechtmäßigkeit, einer Art Urteile tritt nur ein, wenn das Urteil Anspruch auf Notwendigkeit macht ; welches der Fall auch alsdann ist, wenn es subjektive Allgemeinheit, d. i. jedermanns Beistimmung, fordert : indes es doch kein Erkenntnisurteil, sondern nur der Lust oder Unlust an einem gegebenen Gegenstande, d. i. Anmaßung einer durchgängig für jedermann geltenden subjektiven Zweckmäßigkeit ist, die sich auf keine Begriffe von der Sache gründen soll, weil es Geschmacksurteil ist.
Da wir im letztern Falle kein Erkenntnisurteil, weder ein theoretisches, welches den Begriff einer Natur überhaupt durch den Verstand, noch ein (reines) praktisches, welches die Idee der Freiheit, als a priori durch die Vernunft gegeben, zum Grunde legt, vor uns haben ; und also weder ein Urteil, welches vorstellt, was eine Sache ist, noch daß ich, um sie hervorzubringen, etwas verrichten soll, nach seiner Gültigkeit a priori zu rechtfertigen haben : So wird bloß die allgemeine Gültigkeit eines einzelnen Urteils, welches die subjektive Zweckmäßigkeit einer empirischen Vorstellung der Form eines Gegenstandes ausdrückt, für die Urteilskraft überhaupt darzutun sein, um zu erklären, wie es möglich sei, daß etwas bloß in der Beurteilung (ohne Sinnenempfindung oder Begriff) gefallen könne, und, so wie die Beurteilung eines Gegenstandes zum Behuf einer Erkenntnis überhaupt, allgemeine Regeln hatte, auch das Wohlgefallen eines jeden für jeden andern als Regel dürfe angekündigt werden.
Wenn nun diese Allgemeingültigkeit sich nicht auf Stimmensammlung und Herumfragen bei andern, wegen ihrer Art zu empfinden, gründen, sondern gleichsam auf einer Autonomie des über das Gefühl der Lust (an der gegebenen Vorstellung) urteilenden Subjekts, d. i. auf seinem eigenen Geschmacke, beruhen, gleichwohl aber doch auch nicht von Begriffen abgeleitet werden soll ; so hat ein solches Urteil - wie das Geschmacksurteil in der Tat ist - eine zwiefache und zwar logische Eigentümlichkeit : nämlich erstlich die Allgemeingültigkeit a priori, und doch nicht eine logische Allgemeinheit nach Begriffen, sondern die Allgemeinheit eines einzelnen Urteils ; zweitens eine Notwendigkeit (die jederzeit auf Gründen a priori beruhen muß), die aber doch von keinen Beweisgründen a priori abhängt, durch deren Vorstellung der Beifall, den das Geschmacksurteil jedermann ansinnt, erzwungen werden könnte.
Die Auflösung dieser logischen Eigentümlichkeiten, worin sich ein Geschmacksurteil von allen Erkenntnisurteilen unterscheidet, wenn wir hier anfänglich von allem Inhalte desselben, nämlich dem Gefühle der Lust abstrahieren, und bloß die ästhetische Form mit der Form der objektiven Urteile, wie sie die Logik vorschreibt, vergleichen, wird allein zur Deduktion dieses sonderbaren Vermögens hinreichend sein. Wir wollen also diese charakteristischen Eigenschaften des Geschmacks zuvor, durch Beispiele erläutert, vorstellig machen.
§32. Erste Eigentümlichkeit des Geschmacksurteils
Das Geschmacksurteil bestimmt seinen Gegenstand in Ansehung des Wohlgefallens (als Schönheit) mit einem Anspruche auf jedermanns Beistimmung, als ob es objektiv wäre.
Sagen : diese Blume ist schön, heißt ebensoviel, als ihren eigenen Anspruch auf jedermanns Wohlgefallen ihr nur nachsagen. Durch die Annehmlichkeit ihres Geruchs hat sie gar keine Ansprüche. Den einen ergötzt dieser Geruch, dem andern benimmt er den Kopf. Was sollte man nun anders daraus vermuten, als daß die Schönheit für eine Eigenschaft der Blume selbst gehalten werden müsse, die sich nicht nach der Verschiedenheit der Köpfe und so vieler Sinne richtet, sondern wornach sich diese richten müssen, wenn sie darüber urteilen wollen ? Und doch verhält es sich nicht so. Denn darin besteht eben das Geschmacksurteil, daß es eine Sache nur nach derjenigen Beschaffenheit schön nennt, in welcher sie sich nach unserer Art sie aufzunehmen richtet.
überdies wird von jedem Urteil, welches den Geschmack des Subjekts beweisen soll, verlangt : daß das Subjekt für sich, ohne nötig zu haben, durch Erfahrung unter den Urteilen anderer herumzutappen, und sich von ihrem Wohlgefallen oder Mißfallen an demselben Gegenstande vorher zu belehren, urteilen, mithin sein Urteil nicht als Nachahmung, weil ein Ding etwa wirklich allgemein gefällt, sondern a priori aussprechen solle. Man sollte aber denken, daß ein Urteil a priori einen Begriff vom Objekt enthalten müsse, zu dessen Erkenntnis es das Prinzip enthält ; das Geschmacksurteil aber gründet sich gar nicht auf Begriffe, und ist überall nicht Erkenntnis, sondern nur ein ästhetisches Urteil.
Daher läßt sich ein junger Dichter von der überredung, daß sein Gedicht schön sei, nicht durch das Urteil des Publikums, noch seiner Freunde abbringen ; und, wenn er ihnen Gehör gibt, so geschieht es nicht darum, weil er es nun anders beurteilt, sondern weil er, wenngleich (wenigstens in Absicht seiner) das ganze Publikum einen falschen Geschmack hätte, sich doch (selbst wider sein Urteil) dem gemeinen Wahne zu bequemen, in seiner Begierde nach Beifall Ursache findet. Nur späterhin, wenn seine Urteilskraft durch Ausübung mehr geschärft worden, geht er freiwillig von seinem vorigen Urteile ab ; so wie er es auch mit seinen Urteilen hält, die ganz auf der Vernunft beruhen. Der Geschmack macht bloß auf Autonomie Anspruch. Fremde Urteile sich zum Bestimmungsgrunde des seinigen zu machen, wäre Heteronomie. Daß man die Werke der Alten mit Recht zu
Mustern anpreiset, und die Verfasser derselben klassisch nennt, gleich einem gewissen Adel unter den Schriftstellern, der dem Volke durch seinen Vorgang Gesetze gibt : scheint Quellen des Geschmacks a posteriori anzuzeigen, und die Autonomie desselben in jedem Subjekte zu widerlegen. Allein man könnte ebensogut sagen, daß die alten Mathematiker, die bis jetzt für nicht wohl zu entbehrende Muster der höchsten Gründlichkeit und Eleganz der synthetischen Methode gehalten werden, auch eine nachahmende Vernunft auf unserer Seite bewiesen, und ein Unvermögen derselben, aus sich selbst strenge Beweise mit der größten Intuition durch Konstruktion der Begriffe hervorzubringen. Es gibt gar keinen Gebrauch unserer Kräfte, so frei er auch sein mag, und selbst der Vernunft (die alle ihre Urteile aus der gemeinschaftlichen Quelle a priori schöpfen muß), welcher, wenn jedes Subjekt immer gänzlich von der rohen Anlage seines Naturells anfangen sollte, nicht in fehlerhafte Versuche geraten würde, wenn nicht andere mit den ihrigen ihm vorgegangen wären, nicht um die Nachfolgenden zu bloßen Nachahmern zu machen, sondern durch ihr Verfahren andere auf die Spur zu bringen, um die Prinzipien in sich selbst zu suchen, und so ihren eigenen, oft besseren, Gang zu nehmen. Selbst in der Religion, wo gewiß ein jeder die Regel seines Verhaltens aus sich selbst hernehmen muß, weil er dafür auch selbst verantwortlich bleibt, und die Schuld seiner Vergehungen nicht auf andre, als Lehrer oder Vorgänger, schieben kann, wird doch nie durch allgemeine Vorschriften, die man entweder von Priestern oder Philosophen bekommen, oder auch aus sich selbst genommen haben mag, so viel ausgerichtet werden, als durch ein Beispiel der Tugend oder Heiligkeit, welches, in der Geschichte aufgestellt, die Autonomie der Tugend, aus der eigenen und ursprünglichen Idee der Sittlichkeit (a priori) nicht entbehrlich macht, oder diese in einen Mechanism der Nachahmung verwandelt. Nachfolge, die sich auf einen Vorgang bezieht, nicht Nachahmung, ist der rechte Ausdruck für allen Einfluß, welchen Produkte eines exemplarischen Urhebers auf andere haben können ; welches nur so viel bedeutet, als : aus denselben Quellen schöpfen, woraus jener selbst schöpfte, und seinem Vorgänger nur die Art, sich dabei zu benehmen, ablernen. Aber unter allen Vermögen und Talenten ist der Geschmack gerade dasjenige, welches, weil sein Urteil nicht durch Begriffe und Vorschriften bestimmbar ist, am meisten der Beispiele dessen, was sich im Fortgange der Kultur am längsten in Beifall erhalten hat, bedürftig ist, um nicht bald wieder ungeschlacht zu werden, und in die Rohigkeit der ersten Versuche zurückzufallen.
§33. Zweite Eigentümlichkeit des Geschmacksurteils
Das Geschmacksurteil ist gar nicht durch Beweisgründe bestimmbar, gleich als ob es bloß subjektiv wäre.
Wenn jemand ein Gebäude, eine Aussicht, ein Gedicht nicht schön findet, so läßt er sich erstlich den Beifall nicht durch hundert Stimmen, die es alle hoch preisen, innerlich aufdringen. Er mag sich zwar stellen, als ob es ihm auch gefalle, um nicht für geschmacklos angesehen zu werden ; er kann sogar zu zweifeln anfangen, ob er seinen Geschmack, durch Kenntnis einer genugsamen Menge von Gegenständen einer gewissen Art, auch genug gebildet habe (wie einer, der in der Entfernung etwas für einen Wald zu erkennen glaubt, was alle andere für eine Stadt ansehen, an dem Urteile seines eigenen Gesichts zweifelt). Das sieht er aber doch klar ein : daß der Beifall anderer gar keinen für die Beurteilung der Schönheit gültigen Beweis abgebe ; daß andere allenfalls für ihn sehen und beobachten mögen, und was viele auf einerlei Art gesehen haben, als ein hinreichender Beweisgrund für ihn, der es anders gesehen zu haben glaubt, zum theoretischen, mithin logischen, niemals aber das, was andern gefallen hat, zum Grunde eines ästhetischen Urteils dienen könne. Das uns ungünstige Urteil anderer kann uns zwar mit Recht in Ansehung des unsrigen bedenklich machen, niemals aber von der Unrichtigkeit desselben überzeugen. Also gibt es keinen empirischen Beweisgrund, das Geschmacksurteil jemanden abzunötigen.
Zweitens kann noch weniger ein Beweis a priori nach bestimmten Regeln das Urteil über Schönheit bestimmen. Wenn mir jemand sein Gedicht vorliest, oder mich in ein Schauspiel führt, welches am Ende meinem Geschmacke nicht behagen will, so mag er den Batteux oder Lessing, oder noch ältere und berühmtere Kritiker des Geschmacks, und alle von ihnen aufgestellten Regeln zum Beweise anführen, daß sein Gedicht schön sei ; auch mögen gewisse Stellen, die mir eben mißfallen, mit Regeln der Schönheit (so wie sie dort gegeben und allgemein anerkannt sind) gar wohl zusammenstimmen : ich stopfe mir die Ohren zu, mag keine Gründe und kein Vernünfteln hören, und werde eher annehmen, daß jene Regeln der Kritiker falsch seien, oder wenigstens hier nicht der Fall ihrer Anwendung sei, als daß ich mein Urteil durch Beweisgründe a priori sollte bestimmen lassen, da es ein Urteil des Geschmacks und nicht des Verstandes oder der Vernunft sein soll.
Es scheint, daß dieses eine der Hauptursachen sei, weswegen man dieses ästhetische Beurteilungsvermögen gerade mit dem Namen des Geschmacks belegt hat. Denn es mag mir jemand alle Ingredienzien eines Gerichts herzählen, und von jedem bemerken, daß jedes derselben mir sonst angenehm sei, auch obenein die Gesundheit dieses Essens mit Recht rühmen ; so bin ich gegen alle diese Gründe taub, versuche das Gericht an meiner Zunge und meinem Gaumen : und darnach (nicht nach allgemeinen Prinzipien) fälle ich mein Urteil.
In der Tat wird das Geschmacksurteil durchaus immer, als ein einzelnes Urteil vom Objekt, gefällt. Der Verstand kann durch die Vergleichung des Objekts im Punkte des Wohlgefälligen mit dem Urteile anderer ein allgemeines Urteil machen : z. B. alle Tulpen sind schön ; aber das ist alsdann kein Geschmacks-, sondern ein logisches Urteil, welches die Beziehung eines Objekts auf den Geschmack zum Prädikate der Dinge von einer gewissen Art überhaupt macht ; dasjenige aber, wodurch ich eine einzelne gegebene Tulpe schön, d. i. mein Wohlgefallen an derselben allgemeingültig finde, ist allein das Geschmacksurteil. Dessen Eigentümlichkeit besteht aber darin : daß, ob es gleich bloß subjektive Gültigkeit hat, es dennoch alle Subjekte so in Anspruch nimmt, als es nur immer geschehen könnte, wenn es ein objektives Urteil wäre, das auf Erkenntnisgründen beruht, und durch einen Beweis könnte erzwungen werden.
§34. Es ist kein objektives Prinzip des Geschmacks möglich
Unter einem Prinzip des Geschmacks würde man einen Grundsatz verstehen, unter dessen Bedingung man den Begriff eines Gegenstandes subsumieren, und alsdann durch einen Schluß herausbringen könnte, daß er schön sei. Das ist aber schlechterdings unmöglich. Denn ich muß unmittelbar an der Vorstellung desselben die Lust empfinden, und sie kann mir durch keine Beweisgründe angeschwatzt werden. Obgleich also Kritiker, wie Hume sagt, scheinbarer vernünfteln können als Köche, so haben sie doch mit diesen einerlei Schicksal. Den Bestimmungsgrund ihres Urteils können sie nicht von der Kraft der Beweisgründe, sondern nur von der Reflexion des Subjekts über seinen eigenen Zustand (der Lust oder Unlust), mit Abweisung aller Vorschriften und Regeln, erwarten.
Worüber aber Kritiker dennoch vernünfteln können und sollen, so daß es zur Berichtigung und Erweiterung unserer Geschmacksurteile gereiche : das ist nicht, den Bestimmungsgrund dieser Art ästhetischer Urteile in einer allgemeinen brauchbaren Formel darzulegen, welches unmöglich ist ; sondern über die Erkenntnisvermögen und deren Geschäfte in diesen Urteilen Nachforschung zu tun, und die wechselseitige subjektive Zweckmäßigkeit, von welcher oben gezeigt ist, daß ihre Form in einer gegebenen Vorstellung die Schönheit des Gegenstandes derselben sei, in Beispielen auseinanderzusetzen. Also ist die Kritik des Geschmacks selbst nur subjektiv, in Ansehung der Vorstellung, wodurch uns ein Objekt gegeben wird : nämlich sie ist die Kunst oder Wissenschaft, das wechselseitige Verhältnis des Verstandes und der Einbildungskraft zueinander in der gegebenen Vorstellung (ohne Beziehung auf vorhergehende Empfindung oder Begriff), mithin die Einhelligkeit oder Mißhelligkeit derselben, unter Regeln zu bringen und sie in Ansehung ihrer Bedingungen zu bestimmen. Sie ist Kunst, wenn sie dieses nur an Beispielen zeigt ; sie ist Wissenschaft, wenn sie die Möglichkeit einer solchen Beurteilung von der Natur dieser Vermögen, als Erkenntnisvermögen überhaupt, ableitet. Mit der letzteren, als transzendentalen Kritik, haben wir es hier überall allein zu tun. Sie soll das subjektive Prinzip des Geschmacks, als ein Prinzip a priori der Urteilskraft, entwickeln und rechtfertigen. Die Kritik, als Kunst, sucht bloß die physiologischen (hier psychologischen), mithin empirischen Regeln, nach denen der Geschmack wirklich verfährt, (ohne über ihre Möglichkeit nachzudenken) auf die Beurteilung seiner Gegenstände anzuwenden, und kritisiert die Produkte der schönen Kunst ; so wie jene das Vermögen selbst, sie zu beurteilen.
§35. Das Prinzip des Geschmacks ist das subjektive Prinzip der Urteilskraft überhaupt
Das Geschmacksurteil unterscheidet sich darin von dem logischen : daß das letztere eine Vorstellung unter Begriffe vom Objekt, das erstere aber gar nicht unter einen Begriff subsumiert, weil sonst der notwendige allgemeine Beifall durch Beweise würde erzwungen werden können. Gleichwohl aber ist es darin dem letztern ähnlich, daß es eine Allgemeinheit und Notwendigkeit, aber nicht nach Begriffen vom Objekt, folglich eine bloß subjektive vorgibt. Weil nun die Begriffe in einem Urteile den Inhalt desselben (das zum Erkenntnis des Objekts Gehörige) ausmachen, das Geschmacksurteil aber nicht durch Begriffe bestimmbar ist, so gründet es sich nur auf der subjektiven formalen Bedingung eines Urteils überhaupt. Die subjektive Bedingung aller Urteile ist das Vermögen zu urteilen selbst, oder die Urteilskraft. Diese, in Ansehung einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, gebraucht, erfordert zweier Vorstellungskräfte Zusammenstimmung : nämlich der Einbildungskraft (für die Anschauung und die Zusammensetzung des Mannigfaltigen derselben), und des Verstandes (für den Begriff als Vorstellung der Einheit dieser Zusammensetzung). Weil nun dem Urteile hier kein Begriff vom Objekte zum Grunde liegt, so kann es nur in der Subsumtion der Einbildungskraft selbst (bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird) unter die Bedingungen, daß der Verstand überhaupt von der Anschauung zu Begriffen gelangt, bestehen. D. i. weil eben darin, daß die Einbildungskraft ohne Begriff schematisiert, die Freiheit derselben besteht ; so muß das Geschmacksurteil auf einer bloßen Empfindung der sich wechselseitig belebenden Einbildungskraft in ihrer Freiheit, und des Verstandes mit seiner Gesetzmäßigkeit, also auf einem Gefühle beruhen, das den Gegenstand nach der Zweckmäßigkeit der Vorstellung (wodurch ein Gegenstand gegeben wird) auf die Beförderung des Erkenntnisvermögens in ihrem freien Spiele beurteilen läßt ; und der Geschmack, als subjektive Urteilskraft, enthält ein Prinzip der Subsumtion, aber nicht der Anschauungen unter Begriffe, sondern des Vermögens der Anschauungen oder Darstellungen (d. i. der Einbildungskraft) unter das Vermögen der Begriffe (d. i. den Verstand), sofern das erstere in seiner Freiheit zum letzteren in seiner Gesetzmäßigkeit zusammenstimmt.
Um diesen Rechtsgrund nun durch eine Deduktion der Geschmacksurteile ausfindig zu machen, können nur die formalen Eigentümlichkeiten dieser Art Urteile, mithin sofern an ihnen bloß die logische Form betrachtet wird, uns zum Leitfaden dienen.
§36. Von der Aufgabe einer Deduktion der Geschmacksurteile
Mit der Wahrnehmung eines Gegenstandes kann unmittelbar der Begriff von einem Objekte überhaupt, von welchem jene die empirischen Prädikate enthält, zu einem Erkenntnisurteile verbunden, und dadurch ein Erfahrungsurteil erzeugt werden. Diesem liegen nun Begriffe a priori von der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, um es als Bestimmung eines Objekts zu denken, zum Grunde ; und diese Begriffe (die Kategorien) erfordern eine Deduktion, die auch in der Kritik der r. V. gegeben worden, wodurch denn auch die Auflösung der Aufgabe zustande kommen konnte : Wie sind synthetische Erkenntnisurteile a priori möglich ? Diese Aufgabe betraf also die Prinzipien a priori des reinen Verstandes, und seiner theoretischen Urteile.
Mit einer Wahrnehmung kann aber auch unmittelbar ein Gefühl der Lust (oder Unlust) und ein Wohlgefallen verbunden werden, welches die Vorstellung des Objekts begleitet und derselben statt Prädikats dient, und so ein ästhetisches Urteil, welches kein Erkenntnisurteil ist, entspringen. Einem solchen, wenn es nicht bloßes Empfindungs-, sondern ein formales Reflexions-Urteil ist, welches dieses Wohlgefallen jedermann als notwendig ansinnet, muß etwas als Prinzip a priori zum Grunde liegen, welches allenfalls ein bloß subjektives sein mag (wenn ein objektives zu solcher Art Urteile unmöglich sein sollte), aber auch als ein solches einer Deduktion bedarf, damit begriffen werde, wie ein ästhetisches Urteil auf Notwendigkeit Anspruch machen könne. Hierauf gründet sich nun die Aufgabe, mit der wir uns jetzt beschäftigen : Wie sind Geschmacksurteile möglich ? Welche Aufgabe also die Prinzipien a priori der reinen Urteilskraft in ästhetischen Urteilen betrifft, d. i. in solchen, wo sie nicht (wie in den theoretischen) unter objektiven Verstandesbegriffen bloß zu subsumieren hat und unter einem Gesetze steht, sondern wo sie sich selbst, subjektiv, Gegenstand sowohl als Gesetz ist.
Diese Aufgabe kann auch so vorgestellt werden : Wie ist ein Urteil möglich, das bloß aus dem eigenen Gefühl der Lust an einem Gegenstande, unabhängig von dessen Begriffe, diese Lust, als der Vorstellung desselben Objekts in jedem andern Subjekte anhängig, a priori, d. i. ohne fremde Beistimmung abwarten zu dürfen, beurteilte ?
Daß Geschmacksurteile synthetische sind, ist leicht einzusehen, weil sie über den Begriff, und selbst die Anschauung des Objekts, hinausgehen, und etwas, das gar nicht einmal Erkenntnis ist, nämlich Gefühl der Lust (oder Unlust) zu jener als Prädikat hinzutun. Daß sie aber, obgleich das Prädikat (der mit der Vorstellung verbundenen eigenen Lust) empirisch ist, gleichwohl, was die geforderte Beistimmung von jedermann betrifft, Urteile a priori sind, oder dafür gehalten werden wollen, ist gleichfalls schon in den Ausdrücken ihres Anspruchs enthalten ; und so gehört diese Aufgabe der Kritik der Urteilskraft unter das allgemeine Problem der Transzendentalphilosophie : Wie sind synthetische Urteile a priori möglich ?
§37. Was wird eigentlich in einem Geschmacksurteile von einem Gegenstande a priori behauptet ?
Daß die Vorstellung von einem Gegenstande unmittelbar mit einer Lust verbunden sei, kann nur innerlich wahrgenommen werden, und würde, wenn man nichts weiter als dieses anzeigen wollte, ein bloß empirisches Urteil geben. Denn a priori kann ich mit keiner Vorstellung ein bestimmtes Gefühl (der Lust oder Unlust) verbinden, außer wo ein den Willen bestimmendes Prinzip a priori in der Vernunft zum Grunde liegt ; da denn die Lust (im moralischen Gefühl) die Folge davon ist, ebendarum aber mit der Lust im Geschmacke gar nicht verglichen werden kann, weil sie einen bestimmten Begriff von einem Gesetze erfordert : da hingegen jene unmittelbar mit der bloßen Beurteilung, vor allem Begriffe, verbunden sein soll. Daher sind auch alle Geschmacksurteile einzelne Urteile, weil sie ihr Prädikat des Wohlgefallens nicht mit einem Begriffe, sondern mit einer gegebenen einzelnen empirischen Vorstellung verbinden.
Also ist es nicht die Lust, sondern die Allgemeingültigkeit dieser Lust, die mit der bloßen Beurteilung eines Gegenstandes im Gemüte als verbunden wahrgenommen wird, welche a priori als allgemeine Regel für die Urteilskraft, für jedermann gültig, in einem Geschmacksurteile vorgestellt wird. Es ist ein empirisches Urteil : daß ich einen Gegenstand mit Lust wahrnehme und beurteile. Es ist aber ein Urteil a priori : daß ich ihn schön finde, d. i. jenes Wohlgefallen jedermann als notwendig ansinnen darf.
§38. Deduktion der Geschmacksurteile
Wenn eingeräumt wird : daß in einem reinen Geschmacksurteile das Wohlgefallen an dem Gegenstande mit der bloßen Beurteilung seiner Form verbunden sei ; so ist es nichts anders, als die subjektive Zweckmäßigkeit derselben für die Urteilskraft, welche wir mit der Vorstellung des Gegenstandes im Gemüte verbunden empfinden. Da nun die Urteilskraft in Ansehung der formalen Regeln der Beurteilung, ohne alle Materie (weder Sinnenempfindung noch Begriff), nur auf die subjektiven Bedingungen des Gebrauchs der Urteilskraft überhaupt (die weder auf die besondere Sinnesart, noch einen besondern Verstandesbegriff eingeschränkt ist), gerichtet sein kann ; folglich auf dasjenige Subjektive, welches man in allen Menschen (als zum möglichen Erkenntnisse überhaupt erforderlich) voraussetzen kann : so muß die übereinstimmung einer Vorstellung mit diesen Bedingungen der Urteilskraft als für jedermann gültig a priori angenommen werden können. D. i. die Lust oder subjektive Zweckmäßigkeit der Vorstellung für das Verhältnis der Erkenntnisvermögen in der Beurteilung eines sinnlichen Gegenstandes überhaupt, wird jedermann mit Recht angesonnen werden können.*
* Um berechtigt zu sein, auf allgemeine Beistimmung zu einem bloß auf subjektiven Gründen beruhenden Urteile der ästhetischen Urteilskraft Anspruch zu machen, ist genug, daß man einräume : 1) Bei allen Menschen seien die subjektiven Bedingungen dieses Vermögens, was das Verhältnis der darin in Tätigkeit gesetzten Erkenntniskräfte zu einem Erkenntnis überhaupt betrifft, einerlei ; welches wahr sein muß, weil sich sonst Menschen ihre Vorstellungen und selbst das Erkenntnis nicht mitteilen könnten. 2) Das Urteil habe bloß auf dieses Verhältnis (mithin die formale Bedingung der Urteilskraft) Rücksicht genommen, und sei rein, d. i. weder mit Begriffen vom Objekt noch Empfindungen, als Bestimmungsgründen, vermengt. Wenn in Ansehung dieses letztern auch gefehlt worden, so betrifft das nur die unrichtige Anwendung der Befugnis, die ein Gesetz uns gibt, auf einen besondern Fall, wodurch die Befugnis überhaupt nicht aufgehoben wird.
Anmerkung
Diese Deduktion ist darum so leicht, weil sie keine objektive Realität eines Begriffs zu rechtfertigen nötig hat ; denn Schönheit ist kein Begriff vom Objekt, und das Geschmacksurteil ist kein Erkenntnisurteil. Es behauptet nur : daß wir berechtigt sind, dieselben subjektiven Bedingungen der Urteilskraft allgemein bei jedem Menschen vorauszusetzen, die wir in uns antreffen ; und nur noch, daß wir unter diese Bedingungen das gegebene Objekt richtig subsumiert haben. Obgleich nun dies letztere unvermeidliche, der logischen Urteilskraft nicht anhängende, Schwierigkeiten hat (weil man in dieser unter Begriffe, in der ästhetischen aber unter ein bloß empfindbares Verhältnis, der an der vorgestellten Form des Objekts wechselseitig unter einander stimmenden Einbildungskraft und des Verstandes, subsumiert, wo die Subsumtion leicht trügen kann) ; so wird dadurch doch der Rechtmäßigkeit des Anspruchs der Urteilskraft, auf allgemeine Beistimmung zu rechnen, nichts benommen, welcher nur darauf hinausläuft : die Richtigkeit des Prinzips, aus subjektiven Gründen für jedermann gültig zu urteilen. Denn was die Schwierigkeit und den Zweifel wegen der Richtigkeit der Subsumtion unter jenes Prinzip betrifft, so macht sie die Rechtmäßigkeit des Anspruchs auf diese Gültigkeit eines ästhetischen Urteils überhaupt, mithin das Prinzip selber, so wenig zweifelhaft, als die eben sowohl (obgleich nicht so oft und leicht) fehlerhafte Subsumtion der logischen Urteilskraft unter ihr Prinzip das letztere, welches objektiv ist, zweifelhaft machen kann. Würde aber die Frage sein : Wie ist es möglich, die Natur als einen Inbegriff von Gegenständen des Geschmacks a priori anzunehmen ? so hat diese Aufgabe Beziehung auf die Teleologie, weil es als ein Zweck der Natur angesehen werden müßte, der ihrem Begriffe wesentlich anhinge, für unsere Urteilskraft zweckmäßige Formen aufzustellen. Aber die Richtigkeit dieser Annahme ist noch sehr zu bezweifeln, indes die Wirklichkeit der Naturschönheiten der Erfahrung offen liegt.
§39. Von der Mitteilbarkeit einer Empfindung
Wenn Empfindung, als das Reale der Wahrnehmung, auf Erkenntnis bezogen wird, so heißt sie Sinnenempfindung ; und das Spezifische ihrer Qualität läßt sich nur als durchgängig auf gleiche Art mitteilbar vorstellen, wenn man annimmt, daß jedermann einen gleichen Sinn mit dem unsrigen habe : dieses läßt sich aber von einer Sinnesempfindung schlechterdings nicht voraussetzen. So kann dem, welchem der Sinn des Geruchs fehlt, diese Art der Empfindung nicht mitgeteilt werden ; und, selbst wenn er ihm nicht mangelt, kann man doch nicht sicher sein, ob er gerade die nämliche Empfindung von einer Blume habe, die wir davon haben. Noch mehr unterschieden müssen wir uns aber die Menschen in Ansehung der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit bei der Empfindung ebendesselben Gegenstandes der Sinne vorstellen ; und es ist schlechterdings nicht zu verlangen, daß die Lust an dergleichen Gegenständen von jedermann zugestanden werde. Man kann die Lust von dieser Art, weil sie durch den Sinn in das Gemüt kommt und wir dabei also passiv sind, die Lust des Genusses nennen.
Das Wohlgefallen an einer Handlung um ihrer moralischen Beschaffenheit willen ist dagegen keine Lust des Genusses, sondern der Selbsttätigkeit, und deren Gemäßheit mit der Idee seiner Bestimmung. Dieses Gefühl, welches das sittliche heißt, erfordert aber Begriffe ; und stellt keine freie, sondern gesetzliche Zweckmäßigkeit dar, läßt sich also auch nicht anders, als vermittelst der Vernunft, und, soll die Lust bei jedermann gleichartig sein, durch sehr bestimmte praktische Vernunftbegriffe, allgemein mitteilen.
Die Lust am Erhabenen der Natur, als Lust der vernünftelnden Kontemplation, macht zwar auch auf allgemeine Teilnehmung Anspruch, setzt aber doch schon ein anderes Gefühl, nämlich das seiner übersinnlichen Bestimmung, voraus : welches, so dunkel es auch sein mag, eine moralische Grundlage hat. Daß aber andere Menschen darauf Rücksicht nehmen und in der Betrachtung der rauhen Größe der Natur ein Wohlgefallen finden werden (welches wahrhaftig dem Anblicke derselben, der eher abschreckend ist, nicht zugeschrieben werden kann), bin ich nicht schlechthin vorauszusetzen berechtigt. Dem ungeachtet kann ich doch, in Betracht dessen, daß auf jene moralischen Anlagen bei jeder schicklichen Veranlassung Rücksicht genommen werden sollte, auch jenes Wohlgefallen jedermann ansinnen, aber nur vermittelst des moralischen Gesetzes, welches seinerseits wiederum auf Begriffen der Vernunft gegründet ist.
Dagegen ist die Lust am Schönen weder eine Lust des Genusses, noch einer gesetzlichen Tätigkeit, auch nicht der vernünftelnden Kontemplation nach Ideen, sondern der bloßen Reflexion. Ohne irgendeinen Zweck oder Grundsatz zur Richtschnur zu haben, begleitet diese Lust die gemeine Auffassung eines Gegenstandes durch die Einbildungskraft, als Vermögen der Anschauung, in Beziehung auf den Verstand, als Vermögen der Begriffe, vermittelst eines Verfahrens der Urteilskraft, welches sie auch zum Behuf der gemeinsten Erfahrung ausüben muß : nur daß sie es hier, um einen empirischen objektiven Begriff, dort aber (in der ästhetischen Beurteilung) bloß um die Angemessenheit der Vorstellung zur harmonischen (subjektiv-zweckmäßigen) Beschäftigung beider Erkenntnisvermögen in ihrer Freiheit wahrzunehmen, d. i. den Vorstellungszustand mit Lust zu empfinden, zu tun genötigt ist. Diese Lust muß notwendig bei jedermann auf den nämlichen Bedingungen beruhen, weil sie subjektive Bedingungen der Möglichkeit einer Erkenntnis überhaupt sind, und die Proportion dieser Erkenntnisvermögen, welche zum Geschmack erfordert wird, auch zum gemeinen und gesunden Verstande erforderlich ist, den man bei jedermann voraussetzen darf. Eben darum darf auch der mit Geschmack Urteilende (wenn er nur in diesem Bewußtsein nicht irrt, und nicht die Materie für die Form, Reiz für Schönheit nimmt) die subjektive Zweckmäßigkeit, d. i. sein Wohlgefallen am Objekte jedem andern ansinnen, und sein Gefühl als allgemein mitteilbar, und zwar ohne Vermittelung der Begriffe, annehmen.
§40. Vom Geschmacke als einer Art von sensus communis
Man gibt oft der Urteilskraft, wenn nicht sowohl ihre Reflexion als vielmehr bloß das Resultat derselben bemerklich ist, den Namen eines Sinnes, und redet von einem Wahrheitssinne, von einem Sinne für Anständigkeit, Gerechtigkeit usw. ; ob man zwar weiß, wenigstens billig wissen sollte, daß es nicht ein Sinn ist, in welchem diese Begriffe ihren Sitz haben können, noch weniger, daß dieser zu einem Ausspruche allgemeiner Regeln die mindeste Fähigkeit habe : sondern daß uns von Wahrheit, Schicklichkeit, Schönheit oder Gerechtigkeit nie eine Vorstellung dieser Art in Gedanken kommen könnte, wenn wir uns nicht über die Sinne zu höhern Erkenntnisvermögen erheben könnten. Der gemeine Menschenverstand, den man, als bloß gesunden (noch nicht kultivierten) Verstand, für das geringste ansieht, dessen man nur immer sich von dem, welcher auf den Namen eines Menschen Anspruch macht, gewärtigen kann, hat daher auch die kränkende Ehre, mit dem Namen des Gemeinsinnes (sensus communis) belegt zu werden ; und zwar so, daß man unter dem Worte gemein (nicht bloß in unserer Sprache, die hierin wirklich eine Zweideutigkeit enthält, sondern auch in mancher andern) so viel als das vulgäre, was man allenthalben antrifft, versteht, welches zu besitzen schlechterdings kein Verdienst oder Vorzug ist.
Unter dem sensus communis aber muß man die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes, d. i. eines Beurteilungsvermögens verstehen, welches in seiner Reflexion auf die Vorstellungsart jedes andern in Gedanken (a priori) Rücksicht nimmt, um gleichsam an die gesamte Menschenvernunft sein Urteil zu halten, und dadurch der Illusion zu entgehen, die aus subjektiven Privatbedingungen, welche leicht für objektiv gehalten werden könnten, auf das Urteil nachteiligen Einfluß haben würde. Dieses geschieht nun dadurch, daß man sein Urteil an anderer, nicht sowohl wirkliche als vielmehr bloß mögliche Urteile hält, und sich in die Stelle jedes andern versetzt, indem man bloß von den Beschränkungen, die unserer eigenen Beurteilung zufälligerweise anhängen, abstrahiert : welches wiederum dadurch bewirkt wird, daß man das, was in dem Vorstellungszustande Materie d. i. Empfindung ist, so viel möglich wegläßt, und lediglich auf die formalen Eigentümlichkeiten seiner Vorstellung, oder seines Vorstellungszustandes, acht hat. Nun scheint diese Operation der Reflexion vielleicht allzu künstlich zu sein, um sie dem Vermögen, welches wir den gemeinen Sinn nennen, beizulegen ; allein sie sieht auch nur so aus, wenn man sie in abstrakten Formeln ausdrückt ; an sich ist nichts natürlicher, als von Reiz und Rührung zu abstrahieren, wenn man ein Urteil sucht, welches zur allgemeinen Regel dienen soll.
Folgende Maximen des gemeinen Menschenverstandes gehören zwar nicht hieher, als Teile der Geschmackskritik, können aber doch zur Erläuterung ihrer Grundsätze dienen. Es sind folgende : 1. Selbstdenken ; 2. An der Stelle jedes andern denken ; 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken. Die erste ist die Maxime der vorurteilfreien, die zweite der erweiterten, die dritte der konsequenten Denkungsart. Die erste ist die Maxime einer niemals passiven Vernunft. Der Hang zur letztern, mithin zur Heteronomie der Vernunft, heißt das Vorurteil ; und das größte unter allen ist, sich die Natur Regeln, welche der Verstand ihr durch sein eigenes wesentliches Gesetz zum Grunde legt, als nicht unterworfen vorzustellen : d. i. der Aberglaube. Befreiung vom Aberglauben heißt Aufklärung* ; weil, obschon diese Benennung auch der Befreiung von Vorurteilen überhaupt zukommt, jener doch vorzugsweise (in sensu eminenti) ein Vorurteil genannt zu werden verdient, indem die Blindheit, worin der Aberglaube versetzt, ja sie wohl gar als Obliegenheit fordert, das Bedürfnis von andern geleitet zu werden, mithin den Zustand einer passiven Vernunft vorzüglich kenntlich macht. Was die zweite Maxime der Denkungsart betrifft, so sind wir sonst wohl gewohnt, denjenigen eingeschränkt (borniert, das Gegenteil von erweitert) zu nennen, dessen Talente zu keinem großen Gebrauche (vornehmlich dem intensiven) zulangen. Allein hier ist nicht die Rede vom Vermögen des Erkenntnisses, sondern von der Denkungsart, einen zweckmäßigen Gebrauch davon zu machen : welche, so klein auch der Umfang und der Grad sei, wohin die Naturgabe des Menschen reicht, dennoch einen Mann von erweiterter Denkungsart anzeigt, wenn er sich über die subjektiven Privatbedingungen des Urteils, wozwischen so viele andere wie eingeklammert sind, wegsetzt, und aus einem allgemeinen Standpunkte (den er dadurch nur bestimmen kann, daß er sich in den Standpunkt anderer versetzt) über sein eigenes Urteil reflektiert. Die dritte Maxime, nämlich die der konsequenten Denkungsart, ist am schwersten zu erreichen, und kann auch nur durch die Verbindung beider ersten, und nach einer zur Fertigung gewordenen öfteren Befolgung derselben, erreicht werden. Man kann sagen : die erste dieser Maximen ist die Maxime des Verstandes, die zweite der Urteilskraft, die dritte der Vernunft.
* Man sieht bald, daß Aufklärung zwar in Thesi leicht, in Hypothesi aber eine schwere und langsam auszuführende Sache sei ; weil mit seiner Vernunft nicht passiv, sondern jederzeit sich selbst gesetzgebend zu sein, zwar etwas ganz Leichtes für den Menschen ist, der nur seinem wesentlichen Zwecke angemessen sein will, und das, was über seinen Verstand ist, nicht zu wissen verlangt ; aber, da die Bestrebung zum letzteren kaum zu verhüten ist, und es an andern, welche diese Wißbegierde befriedigen zu können mit vieler Zuversicht versprechen, nie fehlen wird : so muß das bloß Negative (welches die eigentliche Aufklärung ausmacht) in der Denkungsart (zumal der öffentlichen) zu erhalten, oder herzustellen, sehr schwer sein.
Ich nehme den durch diese Episode verlassenen Faden wieder auf, und sage : daß der Geschmack mit mehrerem Rechte sensus communis genannt werden könne, als der gesunde Verstand ; und daß die ästhetische Urteilskraft eher als die intellektuelle den Namen eines gemeinschaftlichen Sinnes* führen könne, wenn man ja das Wort Sinn von einer Wirkung der bloßen Reflexion auf das Gemüt brauchen will : denn da versteht man unter Sinn das Gefühl der Lust. Man könnte sogar den Geschmack durch das Beurteilungsvermögen desjenigen, was unser Gefühl an einer gegebenen Vorstellung ohne Vermittelung eines Begriffs allgemein mitteilbar macht, definieren.
* Man könnte den Geschmack durch sensus communis aestheticus, den gemeinen Menschenverstand durch sensus communis logicus bezeichnen.
Die Geschicklichkeit der Menschen sich ihre Gedanken mitzuteilen, erfordert auch ein Verhältnis der Einbildungskraft und des Verstandes, um den Begriffen Anschauungen und diesen wiederum Begriffe zuzugesellen, die in ein Erkenntnis zusammenfließen ; aber alsdann ist die Zusammenstimmung beider Gemütskräfte gesetzlich, unter dem Zwange bestimmter Begriffe. Nur da, wo Einbildungskraft in ihrer Freiheit den Verstand erweckt, und dieser ohne Begriffe die Einbildungskraft in ein regelmäßiges Spiel versetzt : da teilt sich die Vorstellung, nicht als Gedanke, sondern als inneres Gefühl eines zweckmäßigen Zustandes des Gemüts, mit.
Der Geschmack ist also das Vermögen, die Mitteilbarkeit der Gefühle, welche mit gegebener Vorstellung (ohne Vermittelung eines Begriffs) verbunden sind, a priori zu beurteilen.
Wenn man annehmen dürfte, daß die bloße allgemeine Mitteilbarkeit seines Gefühls an sich schon ein Interesse für uns bei sich führen müsse (welches man aber aus der Beschaffenheit einer bloß reflektierenden Urteilskraft zu schließen nicht berechtigt ist) ; so würde man sich erklären können, woher das Gefühl im Geschmacksurteile gleichsam als Pflicht jedermann zugemutet werde.
§41. Vom empirischen Interesse am Schönen
Daß das Geschmacksurteil, wodurch etwas für schön erklärt wird, kein Interesse zum Bestimmungsgrunde haben müsse, ist oben hinreichend dargetan worden. Aber daraus folgt nicht, daß, nachdem es, als reines ästhetische Urteil, gegeben worden, kein Interesse damit verbunden werden könne. Diese Verbindung wird aber immer nur indirekt sein können, d. i. der Geschmack muß allererst mit etwas anderem verbunden vorgestellt werden, um mit dem Wohlgefallen der bloßen Reflexion über einen Gegenstand noch eine Lust an der Existenz desselben (als worin alles Interesse besteht) verknüpfen zu können. Denn es gilt hier im ästhetischen Urteile, was im Erkenntnisurteile (von Dingen überhaupt) gesagt wird, a posse ad esse non valet consequentia. Dieses andere kann nun etwas Empirisches sein, nämlich eine Neigung, die der menschlichen Natur eigen ist ; oder etwas Intellektuelles als Eigenschaft des Willens, a priori durch Vernunft bestimmt werden zu können : welche beide ein Wohlgefallen am Dasein eines Objekts enthalten, und so den Grund zu einem Interesse an demjenigen legen können, was schon für sich und ohne Rücksicht auf irgendein Interesse gefallen hat.
Empirisch interessiert das Schöne nur in der Gesellschaft ; und, wenn man den Trieb zur Gesellschaft als dem Menschen natürlich, die Tauglichkeit aber und den Hang dazu, d. i. die Geselligkeit, zur Erfordernis des Menschen, als für die Gesellschaft bestimmten Geschöpfs, also als zur Humanität gehörige Eigenschaft einräumt : so kann es nicht fehlen, daß man nicht auch den Geschmack als ein Beurteilungsvermögen alles dessen, wodurch man sogar sein Gefühl jedem andern mitteilen kann, mithin als Beförderungsmittel dessen, was eines jeden natürliche Neigung verlangt, ansehen sollte.
Für sich allein würde ein verlassener Mensch auf einer wüsten Insel weder seine Hütte, noch sich selbst ausputzen, oder Blumen aufsuchen, noch weniger sie pflanzen, um sich damit auszuschmücken ; sondern nur in Gesellschaft kommt es ihm ein, nicht bloß Mensch, sondern auch nach seiner Art ein feiner Mensch zu sein (der Anfang der Zivilisierung) : denn als einen solchen beurteilt man denjenigen, welcher seine Lust andern mitzuteilen geneigt und geschickt ist, und den ein Objekt nicht befriedigt, wenn er das Wohlgefallen an demselben nicht in Gemeinschaft mit andern fühlen kann. Auch erwartet und fordert ein jeder die Rücksicht auf allgemeine Mitteilung von jedermann, gleichsam als aus einem ursprünglichen Vertrage, der durch die Menschheit selbst diktiert ist ; und so werden freilich anfangs nur Reize, z. B. Farben, um sich zu bemalen (Rocou bei den Karaiben und Zinnober bei den Irokesen), oder Blumen, Muschelschalen, schönfarbige Vogelfedern, mit der Zeit aber auch schöne Formen (als an Kanus, Kleidern, usw.), die gar kein Vergnügen, d. i. Wohlgefallen des Genusses bei sich führen, in der Gesellschaft wichtig und mit großem Interesse verbunden : bis endlich die auf den höchsten Punkt gekommene Zivilisierung daraus beinahe das Hauptwerk der verfeinerten Neigung macht, und Empfindungen nur so viel wert gehalten werden, als sie sich allgemein mitteilen lassen ; wo denn, wenngleich die Lust, die jeder an einem solchen Gegenstande hat, nur unbeträchtlich und für sich ohne merkliches Interesse ist, doch die Idee von ihrer allgemeinen Mitteilbarkeit ihren Wert beinahe unendlich vergrößert.
Dieses indirekt dem Schönen, durch Neigung zur Gesellschaft, angehängte, mithin empirische Interesse, ist aber für uns hier von keiner Wichtigkeit, die wir nur darauf zu sehen haben, was auf das Geschmacksurteil a priori, wenngleich nur indirekt, Beziehung haben mag. Denn, wenn auch in dieser Form sich ein damit verbundenes Interesse entdecken sollte, so würde Geschmack einen übergang unseres Beurteilungsvermögens von dem Sinnengenuß zum Sittengefühl entdecken ; und nicht allein, daß man dadurch den Geschmack zweckmäßig zu beschäftigen besser geleitet werden würde, es würde auch ein Mittelglied der Kette der menschlichen Vermögen a priori, von denen alle Gesetzgebung abhängen muß, als ein solches dargestellt werden. So viel kann man von dem empirischen Interesse an Gegenständen des Geschmacks und am Geschmack selbst wohl sagen, daß es, da dieser der Neigung frönt, obgleich sie noch so verfeinert sein mag, sich doch auch mit allen Neigungen und Leidenschaften, die in der Gesellschaft ihre größte Mannigfaltigkeit und höchste Stufe erreichen, gern zusammenschmelzen läßt, und das Interesse am Schönen, wenn es darauf gegründet ist, einen nur sehr zweideutigen übergang vom Angenehmen zum Guten abgeben könne. Ob aber dieser nicht etwa doch durch den Geschmack, wenn er in seiner Reinigkeit genommen wird, befördert werden könne, haben wir zu untersuchen Ursache.
§42. Vom intellektuellen Interesse am Schönen
Es geschah in gutmütiger Absicht, daß diejenigen, welche alle Beschäftigungen der Menschen, wozu diese die innere Naturanlage antreibt, gerne auf den letzten Zweck der Menschheit, nämlich das Moralisch-Gute richten wollten, es für ein Zeichen eines guten moralischen Charakters hielten, am Schönen überhaupt ein Interesse zu nehmen. Ihnen ist aber nicht ohne Grund von anderen widersprochen worden, die sich auf die Erfahrung berufen, daß Virtuosen des Geschmacks nicht allein öfter, sondern wohl gar gewöhnlich, eitel, eigensinnig, und verderblichen Leidenschaften ergeben, vielleicht noch weniger wie andere auf den Vorzug der Anhänglichkeit an sittliche Grundsätze Anspruch machen könnten ; und so scheint es, daß das Gefühl für das Schöne, nicht allein (wie es auch wirklich ist) vom moralischen Gefühl spezifisch unterschieden, sondern auch das Interesse, welches man damit verbinden kann, mit dem moralischen schwer, keinesweges aber durch innere Affinität, vereinbar sei.
Ich räume nun zwar gerne ein, daß das Interesse am Schönen der Kunst (wozu ich auch den künstlichen Gebrauch der Naturschönheiten zum Putze, mithin zur Eitelkeit, rechne) gar keinen Beweis einer dem Moralisch-Guten anhänglichen, oder auch nur dazu geneigten Denkungsart abgebe. Dagegen aber behaupte ich, daß ein unmittelbares Interesse an der Schönheit der Natur zu nehmen (nicht bloß Geschmack haben, um sie zu beurteilen) jederzeit ein Kennzeichen einer guten Seele sei ; und daß, wenn dieses Interesse habituell ist, es wenigstens eine dem moralischen Gefühl günstige Gemütsstimmung anzeige, wenn es sich mit der Beschauung der Natur gerne verbindet. Man muß sich aber wohl erinnern, daß ich hier eigentlich die schönen Formen der Natur meine, die Reize dagegen, welche sie so reichlich auch mit jenen zu verbinden pflegt, noch zur Seite setze, weil das Interesse daran zwar auch unmittelbar, aber doch empirisch ist.
Der, welcher einsam (und ohne Absicht, seine Bemerkungen andern mitteilen zu wollen) die schöne Gestalt einer wilden Blume, eines Vogels, eines Insekts usw. betrachtet, um sie zu bewundern, zu lieben und sie nicht gerne in der Natur überhaupt vermissen zu wollen, ob ihm gleich dadurch einiger Schaden geschähe, viel weniger ein Nutzen daraus für ihn hervorleuchtete, nimmt ein unmittelbares und zwar intellektuelles Interesse an der Schönheit der Natur. D. i. nicht allein ihr Produkt der Form nach, sondern auch das Dasein desselben gefällt ihm, ohne daß ein Sinnenreiz daran Anteil hätte, oder er auch irgendeinen Zweck damit verbände.
Es ist aber hiebei merkwürdig, daß, wenn man diesen Liebhaber des Schönen insgeheim hintergangen und künstliche Blumen (die man den natürlichen ganz ähnlich verfertigen kann) in die Erde gesteckt, oder künstlich geschnitzte Vögel auf Zweige von Bäumen gesetzt hätte, und er darauf den Betrug entdeckte, das unmittelbare Interesse, was er vorher daran nahm, alsbald verschwinden, vielleicht aber ein anderes, nämlich das Interesse der Eitelkeit, sein Zimmer für fremde Augen damit auszuschmücken, an dessen Stelle sich einfinden würde. Daß die Natur jene Schönheit hervorgebracht hat : dieser Gedanke muß die Anschauung und Reflexion begleiten ; und auf diesem gründet sich allein das unmittelbare Interesse, was man daran nimmt. Sonst bleibt entweder ein bloßes Geschmacksurteil ohne alles Interesse, oder nur ein mit einem mittelbaren, nämlich auf die Gesellschaft bezogenen verbundenes übrig : welches letztere keine sichere Anzeige auf moralisch-gute Denkungsart abgibt.
Dieser Vorzug der Naturschönheit vor der Kunstschönheit, wenn jene gleich durch diese der Form nach sogar übertroffen würde, dennoch allein ein unmittelbares Interesse zu erwecken, stimmt mit der geläuterten und gründlichen Denkungsart aller Menschen überein, die ihr sittliches Gefühl kultiviert haben. Wenn ein Mann, der Geschmack genug hat, um über Produkte der schönen Kunst mit der größten Richtigkeit und Feinheit zu urteilen, das Zimmer gern verläßt, in welchem jene, die Eitelkeit und allenfalls gesellschaftlichen Freuden unterhaltenden, Schönheiten anzutreffen sind, und sich zum Schönen der Natur wendet, um hier gleichsam Wollust für seinen Geist in einem Gedankengange zu finden, den er sich nie völlig entwickeln kann ; so werden wir diese seine Wahl selber mit Hochachtung betrachten, und in ihm eine schöne Seele voraussetzen, auf die kein Kunstkenner und Liebhaber, um des Interesse willen, das er an seinen Gegenständen nimmt, Anspruch machen kann. - Was ist nun der Unterschied der so verschiedenen Schätzung zweierlei Objekte, die im Urteile des bloßen Geschmacks einander kaum den Vorzug streitig machen würden ?
Wir haben ein Vermögen der bloß ästhetischen Urteilskraft, ohne Begriffe über Formen zu urteilen, und an der bloßen Beurteilung derselben ein Wohlgefallen zu finden, welches wir zugleich jedermann zur Regel machen, ohne daß dieses Urteil sich auf einem Interesse gründet, noch ein solches hervorbringt. - Andererseits haben wir auch ein Vermögen einer intellektuellen Urteilskraft, für bloße Formen praktischer Maximen (sofern sie sich zur allgemeinen Gesetzgebung von selbst qualifizieren) ein Wohlgefallen a priori zu bestimmen, welches wir jedermann zum Gesetze machen, ohne daß unser Urteil sich auf irgendeinem Interesse gründet, aber doch ein solches hervorbringt. Die Lust oder Unlust im ersteren Urteile heißt die des Geschmacks, die zweite des moralischen Gefühls.
Da es aber die Vernunft auch interessiert, daß die Ideen (für die sie im moralischen Gefühle ein unmittelbares Interesse bewirkt) auch objektive Realität haben, d. i. daß die Natur wenigstens eine Spur zeige, oder einen Wink gebe, sie enthalte in sich irgendeinen Grund, eine gesetzmäßige übereinstimmung ihrer Produkte zu unserm von allem Interesse unabhängigen Wohlgefallen (welches wir a priori für jedermann als Gesetz erkennen, ohne dieses auf Beweisen gründen zu können) anzunehmen : so muß die Vernunft an jeder äußerung der Natur von einer dieser ähnlichen übereinstimmung ein Interesse nehmen ; folglich kann das Gemüt über die Schönheit der Natur nicht nachdenken, ohne sich dabei zugleich interessiert zu finden. Dieses Interesse aber ist der Verwandtschaft nach moralisch ; und der, welcher es im Schönen der Natur nimmt, kann es nur sofern an demselben nehmen, als er vorher schon sein Interesse am Sittlich-Guten wohlgegründet hat. Wen also die Schönheit der Natur unmittelbar interessiert, bei dem hat man Ursache, wenigstens eine Anlage zu guter moralischer Gesinnung zu vermuten.
Man wird sagen : diese Deutung ästhetischer Urteile auf Verwandtschaft mit dem moralischen Gefühl sehe gar zu studiert aus, um sie für die wahre Auslegung der Chiffreschrift zu halten, wodurch die Natur in ihren schönen Formen figürlich zu uns spricht. Allein erstlich ist dieses unmittelbare Interesse am Schönen Tier Natur wirklich nicht gemein, sondern nur denen eigen, deren Denkungsart entweder zum Guten schon ausgebildet, oder dieser Ausbildung vorzüglich empfänglich ist ; und dann führt die Analogie zwischen dem reinen Geschmacksurteile, welches, ohne von irgendeinem Interesse abzuhängen, ein Wohlgefallen fühlen läßt ; und es zugleich a priori als der Menschheit überhaupt anständig vorstellt, und dem moralischen Urteile, welches ebendasselbe aus Begriffen tut, auch ohne deutliches, subtiles und vorsätzliches Nachdenken, auf ein gleichmäßiges unmittelbares Interesse an dem Gegenstande des ersteren, so wie an dem des letzteren : nur daß jenes ein freies, dieses ein auf objektive Gesetze gegründetes Interesse ist. Dazu kommt noch die Bewunderung der Natur, die sich an ihren schönen Produkten als Kunst, nicht bloß durch Zufall, sondern gleichsam absichtlich, nach gesetzmäßiger Anordnung und als Zweckmäßigkeit ohne Zweck, zeigt : welchen letzteren, da wir ihn äußerlich nirgend antreffen, wir natürlicherweise in uns selbst, und zwar in demjenigen, was den letzten Zweck unseres Daseins ausmacht, nämlich der moralischen Bestimmung, suchen (von welcher Nachfrage nach dem Grunde der Möglichkeit einer solchen Naturzweckmäßigkeit aber allererst in der Teleologie die Rede sein wird).
Daß das Wohlgefallen an der schönen Kunst im reinen Geschmacksurteile nicht ebenso mit einem unmittelbaren Interesse verbunden ist, als das an der schönen Natur, ist auch leicht zu erklären. Denn jene ist entweder eine solche Nachahmung von dieser, die bis zur Täuschung geht : und alsdann tut sie die Wirkung als (dafür gehaltene) Naturschönheit ; oder sie ist eine absichtlich auf unser Wohlgefallen sichtbarlich gerichtete Kunst : alsdann aber würde das Wohlgefallen an diesem Produkte zwar unmittelbar durch Geschmack stattfinden, aber kein anderes als mittelbares Interesse an der zum Grunde liegenden Ursache erwecken, nämlich einer Kunst, welche nur durch ihren Zweck, niemals an sich selbst, interessieren kann. Man wird vielleicht sagen, daß dieses auch der Fall sei, wenn ein Objekt der Natur durch seine Schönheit nur insofern interessiert, als ihr eine moralische Idee beigesellet wird ; aber nicht dieses, sondern die Beschaffenheit derselben an sich selbst, daß sie sich zu einer solchen Beigesellung qualifiziert, die ihr also innerlich zukommt, interessiert unmittelbar.
Die Reize in der schönen Natur, welche so häufig mit der schönen Form gleichsam zusammenschmelzend angetroffen werden, sind entweder zu den Modifikationen des Lichts (in der Farbengebung) oder des Schalles (in Tönen) gehörig. Denn diese sind die einzigen Empfindungen, welche nicht bloß Sinnengefühl, sondern auch Reflexion über die Form dieser Modifikationen der Sinne verstatten, und so gleichsam eine Sprache, die die Natur zu uns führt, und die einen höhern Sinn zu haben scheint, in sich enthalten. So scheint die weiße Farbe der Lilie das Gemüt zu Ideen der Unschuld, und nach der Ordnung der sieben Farben, von der roten an bis zur violetten, 1) zur Idee der Erhabenheit, 2) der Kühnheit, 3) der Freimütigkeit, 4) der Freundlichkeit, 5) der Bescheidenheit, 6) der Standhaftigkeit, und 7) der Zärtlichkeit zu stimmen. Der Gesang der Vögel verkündet Fröhlichkeit und Zufriedenheit mit seiner Existenz. Wenigstens so deuten wir die Natur aus, es mag dergleichen ihre Absicht sein oder nicht. Aber dieses Interesse, welches wir hier an Schönheit nehmen, bedarf durchaus, daß es Schönheit der Natur sei ; und es verschwindet ganz, sobald man bemerkt, man sei getäuscht, und es sei nur Kunst : sogar, daß auch der Geschmack alsdann nichts Schönes, oder das Gesicht etwas Reizendes mehr daran finden kann. Was wird von Dichtern höher gepriesen, als der bezaubernd schöne Schlag der Nachtigall in einsamen Gebüschen, an einem stillen Sommerabende, bei dem sanften Lichte des Mondes ? Indessen hat man Beispiele, daß, wo kein solcher Sänger angetroffen wird, irgendein lustiger Wirt seine zum Genuß der Landluft bei ihm eingekehrten Gäste dadurch zu ihrer größten Zufriedenheit hintergangen hatte, daß er einen mutwilligen Burschen, welcher diesen Schlag (mit Schilf oder Rohr im Munde) ganz der Natur ähnlich nachzumachen wußte, in einem Gebüsche verbarg. Sobald man aber inne wird, daß es Betrug sei, so wird niemand es lange aushalten, diesem vorher für so reizend gehaltenen Gesange zuzuhören ; und so ist es mit jedem anderen Singvogel beschaffen. Es muß Natur sein, oder von uns dafür gehalten werden, damit wir an dem Schönen als einem solchen ein unmittelbares Interesse nehmen können ; noch mehr aber, wenn wir gar andern zumuten dürfen, daß sie es daran nehmen sollen : welches in der Tat geschieht, indem wir die Denkungsart derer für grob und unedel halten, die kein Gefühl für die schöne Natur haben (denn so nennen wir die Empfänglichkeit eines Interesse an ihrer Betrachtung), und sich bei der Mahlzeit oder der Bouteille am Genusse bloßer Sinnesempfindungen halten.